Im Regen kann es einsam sein

Eli, Eli, lama asabthani?
(Matth. 27.46)



Es gab einen Moment, da dachte ich, er schafft es nicht. Als auf dem beschwerlich langen Weg zur Hinrichtungsstätte in der Parkanlage, an Wuppertals großem Sex-Shop vorbei, der Regen nur noch von Schnee abgelöst wurde. Die bittere Kälte wurde verstärkt durch den Anblick von Römern in Sandalen und einem lieben Herrn Jesus, dessen Finger rot waren von grimmer Anstrengung.

Aber bange machen gilt nicht. Ein Wuppertaler zieht auf den Berg, egal, welche Hindernisse es gibt, und schlechtes Wetter - das kennt er sowieso nicht, gibt es doch bekanntlich nur schlechte Kleidung. Und da waren wir wieder bei unserem lieben Herrn Jesus. Dünne Plünnen, nur Fähnchen am Leib, fast war ich geneigt, wenigstens meinen Schirm über ihn zu halten, hätte dies nicht der strengen Liturgie des Geschehens widersprochen. So blickte ich ihm nur fest ins Auge, ihm Glück und Zuversicht wünschend.

Der Mann am Kreuz war in diesem Jahr erstmals dabei und hätte für sein Debüt keine herausfordernderen Umstände wählen können. Am nächsten Tag, als er in der Küche meiner Mutter aus dem Radio zu uns sprach (das Osterwunder!), räumte er ein gewisses Zagen auf Höhe der Hofaue ein. Mich durchfuhr ein gewisser, gewiß aber kein hochmütiger Stolz, war ich doch sicher, ihm und dem schweren Kreuz mit meinem aufmunternden Blick Halt gegeben zu haben.

Am Ende war nur Stille. Am Ende hörte man nur das Einschlagen der Nägel.

Als er auf der Anhöhe so verhöhnt und ausgestellt wurde, neben sich - da bin ich fast sicher - den Jesus vom Vorjahr als üblen Gesellen am Kreuz, spielte das ober(er)barmer Blasorchester, und mit südländischer Inbrunst und italienischer Zunge wurde der Jungfrau Maria gedacht. Es regnete, und in diesem Moment, ich sag es immer wieder, hätte man schon härter als das Holz einer Eisenbahnschwelle sein müssen, um nicht ergriffen zu sein. Wer wird ihm den Zweifel verdenken, wenn er da hängt, alleingelassen, und keine Antwort auf seine eine Frage bekommt.

Warum? Jesus selbst hat in diesem Moment nur wenig gesagt, niemand zieh ihn, mit schönen Worten Mitleid zu heischen. Die Bergischen jedoch haben nahe dem Wasser gebaut. Nicht immer allerdings spielt dabei ein Posaunenchor.

Ausfallschritt | 22:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
prieditis - Mittwoch, 26. März 2008, 23:16
es wirkt, als warten sie auf die nächste strassenbahn... die da am holz und drumrum

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kid37 - Mittwoch, 26. März 2008, 23:33
Ich kann mir vorstellen, dieses Jahr wurde der Versorgungswagen heiß (!) ersehnt.

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frau klugscheisser - Mittwoch, 26. März 2008, 23:25
Ganz großes Tennis.
Immerhin war das Wetter damals auf Golgatha besser. Naja, wenigstens bis um neun, dann wurd's schlagartig dunkel.

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kid37 - Mittwoch, 26. März 2008, 23:38
Um sechs, um neun wurde es bereits wieder hell. (Ich sehe schon, wir müssen demnächst wirklich gemeinsam in der Bibel lesen.) Geregnet hat es bei der Prozession immer mal, aber so ein zermürbendes Wetter habe ich selten erlebt. Paßte zu meiner Stimmung. Bußzeit.

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frau klugscheisser - Mittwoch, 26. März 2008, 23:56
Aber dunkel wurd's doch wegen der Wolken...
Wer LIEST dennn die Bibel? Gibt's doch alles mit Charlton Heston bewegt und in Farbe.

Menno, nicht mal hier kann ich klugscheißen...

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 00:10
Die Bibelmonumentalfilme habe ich leider dieses Jahr alle verpaßt. Demnächst will ich aber zum Neigungsgruppenfilmkulturprogramm "Die Passion Christi" vorführen. Gibt immer so eine schöne Stimmung.

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pappnase - Mittwoch, 26. März 2008, 23:37
sie reisen aus dem hohen norden an uns ziehen sich das rein, obwohl sie es wissen?

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kid37 - Mittwoch, 26. März 2008, 23:40
Sie meinen, das Ende sei schließlich bekannt? Ich gebe bekanntlich die Hoffnung nie auf. 2010 findet die Prozession zum 30. Mal statt, vielleicht gibt es zum Jubiläum mal ein anderes Ende.

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goetzeclan - Mittwoch, 26. März 2008, 23:52
„… hätte dies nicht der strengen Liturgie des Geschehens widersprochen.“

Ich denke, das ist es. Ich/Wir sollten häufiger mal der strengen Liturgie des Geschehens wiedersprechen. Dann könnte alles besser werden.

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 00:12
Dazu muß man bereit sein, sich überhaupt mal zu bewegen. Scheint nicht allen zu liegen.

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fragmente - Donnerstag, 27. März 2008, 00:03
Als bibelfester junger Mann (im gestärkten weißen Hemd) wissen Sie sicherlich, daß Jesus in der Stunde seines Todes, als ihn alle seine Jünger und auch Gott verlassen hatten, drei Frauen beistanden: seine Mutter Maria, deren Schwester und Maria Magdalena. [Joh 19,25]
Mich rührt das.

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 00:14
Mancher freute sich, ihm würde eine Frau im Leben beistehen. Ich war in der Tat gerührt, denn genau das war ein Thema während der Prozession, als die Veronika-Szene gespielt wurde. Daß die Frauen selbstlos Beistand und menschliche Gegenwart gewährten. Ich bin aber auch Romantiker und leicht gerührt.

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referral - Donnerstag, 27. März 2008, 00:06
Viel tiefer hätte man die Jungs aber nicht hängen dürfen, sonst wäre das Foto mit der Dame in türkis fast blasphemisch geworden.

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 00:17
Eine gewisse Fallhöhe macht das Leben ja sowieso erst interessant. Der liebe Herr Jesus bemerkte im Radiointerview, daß man sich emotional nicht zu sehr hineinsteigern dürfe.

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referral - Donnerstag, 27. März 2008, 00:20
Recht hatte er. Und die harten Nippel kamen von der winterlichen Kälte.

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derherold - Donnerstag, 27. März 2008, 00:25
Daß es in Wuppertal fad ist und die Einheimischen zur Bespaßung nach Köln oder ins Ruhrgebiet fahren, war mir bekannt ... aber das dann einfach so aus Langeweile Leute gekreuzigt werden, finde ich jetzt doch ein bißchen verstörend.

... im übrigen habe ich Wuppertal immer für ein Bollwerk des Protestantismus gehalten und wir sind ja im allgemeinen nicht so passionsfruchtspielorientiert

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 10:41
Wir kennen da nichts, ein bißchen Leiden macht schöne Schauer. Mitunter. Die Katholiken haben keinen leichten Stand, aber der Wuppertaler ist ja irre tolerant.

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undundund - Donnerstag, 27. März 2008, 00:32
Eben noch in Wuppertal– jetzt auf unserer Showbühne!

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derherold - Donnerstag, 27. März 2008, 00:50
Eines ist mir nicht so klar ( mangelnde Sprachkenntnisse ?): Ist das jetzt einer der Jünger oder Pontius Pilatus ? Reden die über Jesus oder Barnabas ?

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 10:38
Herr und³, ich hätte mein Video lieber dort hochladen sollen. Wunderbar. Wird abonniert. Herr Herold, meinen Sie den Barrabas? Der andere war doch dieser Richter, der nun möglicherweise in Südamerika Milieustudien betreibt.

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derherold - Donnerstag, 27. März 2008, 10:50
Hoho, Herr@kid, ich sehe schon, Sie kennen sich nicht so gut aus http://de.wikipedia.org/wiki/Barnabas

Es ist doch gerade Kennern der christlichen Kirche(n) bekannt, daß gerade die, die zum erweiterten Kreis der Jünger zählten, in Wirklichkeit für die Entwicklung ...

... ja, ich meinte Barrabas.

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 10:58
Wir lernen hier jeden Tag dazu. Warten Sie, ich hole uns einen Kelch ;-)

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engl - Donnerstag, 27. März 2008, 11:48
ich bin grad verwirrt. die parkanlage ist nicht auf dem ölberg, oder? das wär ja auch...

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kid37 - Donnerstag, 27. März 2008, 12:11
Nein, nein. Es geht wie immer im Deweerth'schen Garten los (den Judas-Kuß habe ich verpaßt, aber ich habe selbst schon welche erhalten, da kommt es nicht darauf an) und endet auf der Hardt.

Die Hard, wie Bruce-Willis-Fans sagen ;-)

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