Mittwoch, 19. Dezember 2012


Nur die Zukunft ist mißraten

Wir spülten nie, außer wir wollten
würdevoll und selbstzerstörerisch wirken.

(Mirada July. Zehn Wahrheiten.)



Vor ein paar Wochen, während einer dieser leblosen Krankenlagertage, habe ich noch mal das Phänomen Miranda July hin- und herbedacht, sehr wohlwollend, wie ich betonen möchte, weil ich sonst ja gerne spontan darin bin, lange Listen herunterzurattern von Leuten die ich nicht mag. Bestimmte Schauspieler etwa. Oder Autoren. Oder Musiker. Nur Blogger, die mag ich alle. Vergleichbar fällt es den meisten Menschen schwer, Miranda July nicht zu mögen, selbst die Brigitte schreibt über sie, was nicht häufig vorkommt, wenn wir über Performance-Kunst reden. Nun macht die July nicht nur Performance, sondern alle Arten von Kunst. Manche sagen, sie selbst sei die Kunst. Sie trägt hübsche Kleider Sie schreibt Bücher, mit so zart-lakonischen Geschichten, daß man sie für Schneeflocken halten könnte. Wären da nicht ganz viele sandpapierartige, rauhe Stellen darin. Oder bringt wildfremde Menschen zum Erzählen, wie in ihrem neuen Buch It Chooses You (jetzt auch auf Deutsch erschienen). Was ja auch eine Kunst ist. Menschen zum Reden zu bringen. Geschichten zu entdecken und darüber etwas vom Leben für sich selber abzustecken. Zu sagen, weiß ich nicht genau, aber anders wäre es auch... unbestimmt. Vor ein paar Jahren gestaltete sie eine Ausgabe des Schweizer Magazins Du, wobei sie selbst völlig verschwand und eine Spurensuche präsentierte, bei der Freunde, Weggefährten und Nachbarn nach ihr und ihren Gewohnheiten befragt wurden. Ein interessantes Experiment darüber, wie sich eine Person aus lauter gespiegelten Beobnachtungsfragmenten ihres sozialen Umfelds zusammensetzt. Man kennt das aus diesem Internetz.

Dann dreht sie Filme, von denen ihr Debüt Ich und du und alle, die wir kennen ganz wunderbar und zart und auch sandpapierartig ist. Eine poetische Erzählung über staksige Menschen, mit schrägem Humor und voller peinlicher Momente, aber ohne Arg und Häme beobachtet. Zum Glück kennt den Film jeder, und die Welt ist danach auch ein Stück besser und gütiger geworden.

Mißlungen allerdings ist der Nachfolger The Future, ein mäßig fokussierter Film über das ungelenke, nervtötende Herumgegurke zwei Mittdreißiger, die sich zu nichts so recht entscheiden können und das Ende ihrer Beziehung aussitzen. Dazu mit vielen Albernheiten (diese sprechende Performance-Katze, also wirklich) gespickt und einer grandiosen kleinen Szene, die es aber bezeichnenderweise nicht in den Film geschafft hat. Miranda Julys Tip für alle Zauderer und Hinauszögerer und -schieber. Auch das hier vor Jahren mal vorgestellte "Are You the Favourite Person of Anybody?" geht auf ein Skript von ihr zurück. Ein sandpapierzartes Stück über Unsicherheit, Ungewißheit und sozial kaschierte Verzweiflung. Und über Orangen.

Super 8 | von kid37 um 13:12h | 21 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 12. Dezember 2012


Jahresrückblick 2012

Ja. Scheiße.


 


Sonntag, 9. Dezember 2012


Dann

Himmel! Es gibt ja ganz viele Pronoseiten im Internet! So. Was war los. Erst war ich adrett gekleidet mit noch adretter gekleideten Damen los. Es ist ja die Zeit der Weihnachts- und Besinnungsfeiern.



Dann mußte ich im Fernsehen eine Wir-bekochen-uns-gegenseitig-Sendung schauen, in der Deutschlands berühmteste Kürschner Makler und Luxusmakler auftischten. Frau G. kann nicht kochen, aber da hatte ich schon so einen Anfangsverdacht.

Dann wurde ich von ganz vielen Menschen via Twitter gegrüßt. Da ich aber kein Twitter habe, wurde mit das mündlich übermittelt. Und ich bedanke mich jetzt per Blog. Danke. Wenn das nicht crossmedial ist!

Dann mußte ich gerichtlich mitfiebern. Aber es ist jetzt wohl offiziell: Stefanie Hertel und Stefan Mross sind geschieden. Jetzt bläst er wieder selbst. Bitte keine Kalauer in den Kommentaren!

Dann habe ich Wittgenstein gelesen. Und auch Spinoza. (aus meinem Buch: Herr Kid auf dem Weg in die A-List)

Dann war ich nicht ganz bei Sinnen und wagte mich am Samstag ohne wirklich verifizierbaren Bekleidungsnotstand (man trägt aber wirklich wieder Leibwäsche) in die Innenstadt. Dort war es voll. Dort war es sehr voll. Dort war es völlig über alle Maßen voll.

Dann war ich in einem Geschäft. Ein Schal (möglicherweise auch Shawl) erregte meine Aufmerksamkeit wg. konservativem Muster für 37plusjährige. Erst faßte sich der Schal gut an, dann faßte ich das Preisschild an. 379,- Euro. Ich meine, da muß eine Großmutter lange für stricken. Einen Schal beispielsweise. Aber wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Schals für 379.- Euro. Das ist es wert.

Dann war in der U-Bahn einer dieser Kulturkreisbeschimpfer. Handy am Ohr, Ich-schwör!-Gespräch. Oder eher ein gebrüllter Monolog. Viel "ich schlag die" oder auch "ich schlag die tot", dann eskalierte Fetzen wie "deine Tochter", "hat 'nen Freund", "die fickt rum" gefolgt von "Was habt ihr bloß für eine Kultur?" und (mittlerweile gebrüllt) "Ich fick alle! Ich fick deine Mutter!" So etwas muß man mitunter mithören, wenn in der U-Bahn das Mobiltelefon gezückt wird. Andererseits, wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Smartphones. Gibt ja brauchbare schon für 379,- Euro. Das ist es wert.

Dann schneite es.

Dann war nichts mehr. Bücher blättern, Filme betrachten, Heizung warmdenken.


 


Dienstag, 4. Dezember 2012


Don't Wake Daddy



Zum siebten Mal lockte der famose Herr Krüger zur Jahresschau Don't Wake Daddy - und Groß und Klein strömten am Samstag zur Bescherung herbei, im feierlich gelösten Wissen, so lebendig wie jetzt kommen wir wohl alle nicht mehr zusammen. Untergangstage, entspanntes Tänzeln an der Bruchkante, Zeit für ein letztes Zwitschern im Angesicht des seit Jahrtausenden angekündigten Weltuntergangs.

Wie zarte Mirabellen im Vorgarten des großen Weltuntergangs betrachteten junge schöne Damen und versehrte alte Männer Bildnisse der vier Endzeitreiter, schwefelsüße Visionen des Hingerafftseins, Sex ohne Sex und Leben ohne Leben. Ringelbehemdete Jungen, die von schwarzen Bienen erstochen werden, gefiederte Sänger mit trotzig geflöteten -Melodien, drohende Kometen am Himmel und Höllenmaschinen für eine letzte Lotterie: alles Wesentliche dabei, eine erbauliche Strecke mit Werken von 50 Künstlern, ein Kreuzweg der Kunst. Anthony Ausgang, Danielle de Picciotto, Atak, Heiko Müller und die wunderbare Moki sind darunter, Fred Stonehouse, Eric White und Paul Chatem oder Miä Mäkilä, Nathalie Huth. Eine hervorragend besetzter Chor für letzte Gesänge.

Flankiert wird die Ausstellung ab Freitag, dem 7.12., von mehreren Apokalypse-Veranstaltungen im Westwerk. Kunst mit Anja Huwe, Gesa Lange, Martin Nill und anderen, Lesungen und der großen Untergangsparty am 21.12. mit VJ Wasted und Doom und Gloom als Livekonzert. Gebt bis dahin alles, das letzte Hemd hat bekanntlich keine Taschen.

"Don't Wake Daddy VII". Hamburg, Feinkunst Krüger bis 21.12.2012.
"Apokalypse How". Hamburg, Westwerk bis 21.12.2012.


 


Freitag, 30. November 2012


Mach doch mal ein Café mit Tieren

Diese Woche war so viel zu tun in der Heimverschönerungsfabrik, da kam ich gar nicht zum Befüllen dieser kleinen Textschutthalde am Ende der Straße. Wem die Wartezeit zu lang wird, kann mal schauen wie es ausschaute, wäre dies ein richtiges Blog.

(Ich will aber keine Ooooohs und Aaaaahs hören.)


 


Montag, 26. November 2012


Merz/Bow, #37

Hipster, dein Schwengel steht schief! Das habe ich ja noch nie gemacht gesehen. Kaffee mit 'ner Presskanne. Entschuldigung, einer französischen Presskanne. Entschuldigung, einer per Smartphone zeitüberwachten, dudelmusikunterlegten französischen Presskanne. Ein zelebriertes Ritual! Nicht etwa einfach so. Gleich mal ein Holzfällerhemd raussuchen. Für das simple living! Danke für diesen Film. Morgen dann: ein Brot selber schneiden.

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Dazu paßt doch wunderbar dieses Tumblr-Blog: Kitchen Counters You could Fuck on. Mal Themen auf den Punkt bringen. Nicht immer dieser Sublimierungskack.

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Ich gehe jetzt zurück in meine etwas unaufgeräumte Bibliothek. Ausmisten, umstellen, liegen bleiben. Erneut stelle ich fest, daß es in meiner CD-Sammlung etwa so ungeordnet zugeht wie im Kopf von Katie Jane Garside. Die dabei allerdings wesentlich besser aussieht.

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Stillende Mütter können es auch übertreiben (denken bestimmt andere stillende Mütter bei sich). Natürlich Neid, ich könnte das in vielfältiger Hinsicht nicht.

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Mimimi. Manchmal fragt man sich schon, oder? Ich meine, das geht auf keine Kuhhaut, auch wenn jedes Ding bekanntlich seine zwei Meinungen hat. Die eine.

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Mimimi. Manchmal fragt man sich schon, oder? Ich meine, das geht auf keine Kuhhaut, auch wenn jedes Ding bekanntlich seine zwei Meinungen hat. Die andere.

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Um mir die Fäden zu ziehen, kniet die Arzthelferin in so einer Art Gebetshaltung vor mir. Ich will einen lauen Witz machen, fühle mich aber unbehaglich. Einfach mal die Klappe halten. Sie dankt es mir mit einem extra Pflaster.

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Ermüdend. Alles sehr ermüdend.

MerzBow | von kid37 um 13:37h | 30 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 21. November 2012


Referrer Botschaften, Teil irgendwas

Einst eine beliebte Methode, kurze netztelegraphische Botschaften mit Hilfe einer Suchmaschine zu versenden, ist die Technik der anonym-klandestinen Nachrichtenübermittlung ein wenig in Vergessenheit geraten. Nicht immer ist auch sicher, daß man wirklich als Empfänger gemeint ist, andererseits, welchen Satz, der so durch den Netzäther schwirrt, ließe sich nicht passend machen. Vorausgesetzt, man führt ein blütenreiches Leben, gleich einem Garten, in dem Platz für die obskursten Pflanzen ist. Oder für eine Bank, auf der man stumm sein kann.

search request man schweigt am meisten bei der person der man eigentlich so viel sagen will

Das ist wohl so. Manchmal erschrocken, manchmal erbost. Manchmal erschöpft oder einfach gesättig, Schnauze voll, kraftlos. Oder eben aus verlorenem Mut, gehemmt, verzagt und zögernd. Ausgespielt, aufgewacht, abgebogen vielleicht in ein anderes Leben.

Wie bestellt zeigt Viktoria Sorochinski dazu eine Fotoserie auf ihrer Webseite. Momente von Schweigen, Stille, Sprachlosigkeit. Oder einfach nur Leere, ein angerostetes Leben kurz vor dem großen, langen Warten.